3. Geschichtliche Entwicklung der Dampflokomotiven
3.4. Die Einheitslokomotiven 1925
Entstehung der Einheitslokomotiven
Der Ausgang des Weltkrieges 1914 - 18 brachte den Eisenbahnen eine bittere Notzeit. 8200 Lokomotiven neuester Bauart mußten neben 130 000 Personen- und 280 000 Güterzugwagen den Siegern abgeliefert werden. Was zurückblieb, war durch die ungeheuren Anstrengungen während des Weltkrieges sehr mitgenommen und daher nicht mehr in der Lage, dem allmählich wieder anwachsenden Verkehr gerecht zu werden. Ein umfangreicher Neubau von Lokomotiven war daher unerläßlich. Durch die unterschiedlich gebauten Lokomotiven der Ländereisenbahnen war der Lokomotivpark der Reichsbahn sehr bunt geworden. Gab es doch damals nicht weniger als 210 verschiedene Gattungen und Untergattungen. Das hinderte die freizügige Verwendung der Lokomotiven und verteuerte die Ausbesserung durch das Vorhalten sehr vieler zum Teil nur geringfügig unterschiedlicher Ersatzteile. Beim Bau neuer Maschinen mußte man daher unbedingt zur Vereinheitlichung kommen.
Die Rücksicht auf wirtschaftliche Unterhaltung und die Absicht, die Hauptstrecken für eine Achslast von 20 t auszubauen, führten dazu, nicht die bewährtesten Typen der einzelnen Länderbahnen herauszusuchen und als Einheitsbauart für das ganze Reich nachzubauen, sondern neue Lokomotivtypen zu entwickeln. So entstanden die Einheitslokomotiven der Deutschen Reichsbahn, von denen die ersten im Jahre 1925 gebaut wurden (Einheitslokomotive 1925 nach Merkbuch für die Schienenfahrzeuge der Deutschen Bundesbahn, Dampflokomotiven und Tender, 1953, DV 939a). Zum erstenmal bot sich hier die Gelegenheit, einheitliche Baugrundsätze auf einen größeren neu zu schaffenden Lokomotivpark anzuwenden. Gewiß hatten auch die Ländereisenbahnen innerhalb ihres Fahrzeugbestands bestimmte Richtlinien aufgestellt, aber diese Grundsätze beschränkten sich doch nur auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Lokomotiven.
Baugrundsätze der Einheitslokomotiven 1925
Jede neue technische Entwicklung umfaßt Erfahrungen aus vorangegangenen Jahren. Deshalb liegen die Anfänge der Entwicklung meist erheblich vor dem Zeitpunkt, zu dem die neuen Grundsätze allgemein Geltung gewinnen. Schon während des ersten Weltkrieges tauchten einige der später auf die Einheitslokomotiven angewendeten Grundsätze auf:
- Die Leistungsanforderungen stiegen weiter, die zwischen den Blechrahmen eingezwängten Kessel konnten aber nur noch in der Länge vergrößert werden. Dadurch entstanden lange, schmale Feuerbüchsen, die schließlich nicht mehr ordnungsgemäß hätten beschickt werden können. Man ging daher zum Barrenrahmen über, der sich erheblich niedriger und fester als der genietete Blechrahmen bauen ließ, über dem man genügend Platz gewann, den Stehkessel auch seitlich zu vergrößern.
- Die höhere Leistung verlangte hohe Dampfüberhitzung und zusätzliche Heizflächen, die man durch Verlängern des Langkessels schuf. Der Berührungsheizfläche der Heiz- und Rauchrohre wurde damals besonders große Bedeutung beigemessen.
Rein äußerlich sind daher die Einheitslokomotiven 1925 durch den Barrenrahmen, den langen großen Kessel und einen entsprechend niedrigen Schornstein gekennzeichnet.
- Ein wesentlicher Gesichtspunkt beim Entwurf der Einheitslokomotiven war das Verwenden einzelner Bauteile oder ganzer Baugruppen, wie z. B. Kessel, Krauß-Helmholtz-Gestell u.a. für möglichst viele Typen etwa gleicher Größe. Dadurch ließen sich beim Bau, in der Ausbesserung und im Ersatzteillager erhebliche Ersparnisse erzielen.
- Außerdem bemühte man sich natürlich, im Betrieb mit möglichst wenig Lokomotivgattungen auszukommen und den zulässigen Achsdruck, von der Art des Oberbaues bestimmt, leistungsmäßig voll auszunutzen.
Schließlich wurde eine ganze Reihe von Einzelteilen im Streben nach höherer Gesamtwirtschaftlichkeit verbessert.
- Im Kessel stimmte man die Heizflächen und Rohrquerschnitte sorgfältiger aufeinander ab, um die erzeugte Wärme weitgehend auszunutzen und die Rauchgase mit geringstmöglichem Saugzug durch das Rohrbündel zu bringen. Das niedrig liegende, weite Blasrohr und die große Rauchkammer sind ein weiteres Kennzeichen der Einheitslokomotiven 1925. Man wollte den Gegendruck im Zylinder niedrig halten, Zylinderleistung gewinnen und trotzdem eine gute und gleichmäßige Feueranfachung erreichen.
- Große Kolbenschieber, weite Dampfwege im Zylinder und günstig gewählte Verdichtungsräume bringen weiteren Leistungsgewinn.
- Zum Fernhalten des ausfallenden Kesselsteines von den hochbeanspruchten Feuerbüchs- und Rohrwänden baute man einen besonderen Speisedom und darin einen Winkelrostschlammabscheider ein. Im Prinzip wurde dieser Schlammabscheider schon 1850 bei einer Lokomotive der Bergisch-Märkischen Bahn angewandt.
- Der schon seit 1910 bekannte Speisewasservorwärmer wird weiter verbessert, er liegt bei den Einheitslokomotiven 1925 jetzt vorn quer in der Rauchkammer.
Alle diese Verbesserungen, von denen nur die wichtigsten herausgegriffen sind, äußern sich neben geringeren Unterhaltungskosten am fühlbarsten im Kohlenverbrauch. Die folgende Vergleichstafel führt uns das deutlich vor Augen.
Den größten Sprung finden wir natürlich von dem noch ohne Dampfdehnung, also äußerst unwirtschaftlich arbeitenden ”Adler” zur 2 A-Crampton-Lokomotive mit Expansionssteuerung. Zwei weitere große Schritte führen über die Naßdampf-Verbund- zur Heißdampflokomotive. Danach wird die Verbrauchssenkung erheblich flacher, aber auch heute sind noch nicht alle Entwicklungsmöglichkeiten der Dampflokomotive ausgeschöpft.
Reihenfolge beim Bau der Einheitslokomotiven 1925
Die Reihenfolge beim Bau der Einheitslokomotive richtete sich nach den Bedürfnissen des Betriebes und dem Alter der zu ersetzenden Länderbauarten:
So entstanden in den Jahren nach 1925 zuerst die 2zylindrige Schnellzuglokomotive Reihe 01 (Leistung Ni ~ 2240 PS) und als Versuch in Verbundausführung die Reihe 02. Sie lösten die Reihe17 ab, die den Betriebsansprüchen nicht mehr gewachsen war. Mit der Baureihe 02 wollte man nochmals Vor- und Nachteile der Verbunddampfmaschine im praktischen Betrieb erproben. Gab es doch in der Reihe 18 eine 4-Zylinder-Verbunddampfmaschine, die im Betrieb sehr geschätzt wurde. Aber die Konstruktion der Baureihe 02 war offenbar in den Dampfwegen nicht gelungen, sie brachte keine Vorteile und wurde nicht in Serie gebaut.
Nach 1930 folgte der Reihe 01 die Reihe 03 (Bild 284) als Lokomotive für leichtere Schnellzüge (Achsdruck 17,5 t, Leistung Ni ~ 1980 PS). Mit ihr wurden die ersten Vorversuche für schnellfahrende Lokomotiven ausgeführt, wobei sich die Laufeigenschaften auch bei 140 km/h für eine 2-Zylinder-Lokomotive noch als gut herausstellten. Trotzdem hat man dann im Jahre 1937 die Reihen 01 und 03 mit 3 Zylindern als Baureihe 01
10 und 03
10 entwickelt, weil das ruhiger laufende und im Anzugsvermögen vorteilhaftere 3-Zylinder-Triebwerk den Anforderungen des ausgesprochenen Schnellverkehrs doch besser gewachsen ist.
Für den Nebenbahnbetrieb wurde im Jahre 1926 die 1’ C h2-Personenzuglokomotive Reihe 24 entwickelt (Achsdruck 15 t, Leistung Ni ~ 920 PS). Als Schlepptenderlokomotive ist sie besonders für längere Streckenfahrten vorgesehen, kann aber mit einer Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h auch leichte Eilzüge befördern. Bis auf den Schlepptender ihr gleich ist die 1’ C 1’ h2-Tenderlokomotive Reihe 64 vor allem für kürzere Streckenfahrten im Pendelverkehr bestimmt.
Als Personenzug-Tenderlokomotive für kurze Hauptstrecken mit zahlreichen Wendepunkten (Kopfbahnhöfen) wurde die 2’ C 2’ h2-Lokomotive Reihe 62 gebaut (Höchstgeschwindigkeit 100 km/h).
Als Güterzuglokomotiven entstanden nach 1925 zuerst die beiden 1’ E-Lokomotiven mit 20 t Achsdruck, Reihe 43 als 2-Zylinder-, Reihe 44 als 3-Zylinder-Lokomotive. Man wollte den Unterschied zwischen beiden Zylinderanordnungen im praktischen Betrieb erproben.
In der Bauart entspricht diese Schlepptenderlokomotive der 1’E1’ h2-Tenderlokomotive Reihe 85, die 1932 in Betrieb kam. Im Jahre 19Z7 wurde die 1’ D 1’ h2-Lokomotive Reihe 86 (Achsdruck 15 t) für den schweren Güterzugverkehr auf Nebenbahnen gebaut.
Für den Rangierdienst entstand 1926 die C h2-Lokomotive Reihe 80 und die D h2-Lokomotive Reihe 81 (Leistung Ni ~ 860 PS). Schließlich ist aus dieser Zeit noch eine Sonderausführung für den Hamburger Hafenbetrieb mit seinen engen Krümmungen zu nennen, die fünffach gekuppelte Reihe 87 mit 2 Luttermöller-Zahnrad-Endachsen. Die 16 Lokomotiven dieser Bauart wurden im Jahre 1954 ausgemustert, weil sie bei höheren Geschwindigkeiten zum Heißlaufen neigten und daher nur im Rangierdienst, aber nicht im Zugdienst eingesetzt werden konnten. Als Ersatz wird die Lokomotive Baureihe 82 mit Beugniot-Lenkgestellen verwendet.
Nach 1930 folgten weitere Neubauten von Einheitslokomotiven 1925, die jeweils für besondere Betriebszwecke vorgesehen waren, sich darüber hinaus aber auch noch manches andere Arbeitsgebiet eroberten. Die 1’D1’ h2-Güterzuglokomotive Reihe 41 (Bild 22) war zunächst vorwiegend für schnelle Güterzüge, z. B. für Fisch- und Obstzüge, bestimmt. Mit 1600 mm Raddurchmesser erreicht sie eine Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h bei einer Leistung von Ni ~ 1900 PS. Damit nähert sie sich schon dem Bereich des leichten Schnellzugdienstes, wo sie zum mindesten als Aushilfe häufig auftaucht.
Bild 22 1' D 1' h2-Güterzuglokomotive Reihe 41
Bild 23 1' E 1' h3-Güterzuglokomotive Reihe 45
Bild 24 1' E h2-Güterzuglokomotive Reihe 50
Als schwerste und stärkste Güterzuglokomotive ist die 1’ E 1’ h3-Lokomotive Reihe 45 zu erwähnen (Bild 23). Sie besitzt den größten Kessel der in der Bundesrepublik Deutschland betriebenen Lokomotiven mit 310 m
2 Heizfläche und 16 kg/cm
2 Kesseldruck. Mit einer Leistung von Ni ~ 302O PS war sie vorwiegend für den schweren Güterzugverkehr in gebirgigen Gegenden vorgesehen. Der Nachteil solch großer Lokomotiven liegt darin, daß sie recht unwirtschaftlich werden, wenn sie nicht laufend gut ausgelastet werden können. Man muß daher Zahl und Einsatz starker Lokomotiven stets sorgfältig überlegen.
Als Ersatz der alten preußischen G 10 (Reihe 57) entstand im Jahre 1939 die 1’ E h2-Güterzuglokomotive der Reihe 50 (Bild 24). Mit ihrem Achsdruck von 15 Tonnen und der Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h ist sie fast überall verwendbar und war schon vor dem Kriege in großer Stückzahl verbreitet. Im Kriege wurde sie in vereinfachter, arbeits- und rohstoffsparender Weise als Reihe 52 in sehr großer Zahl hergestellt. Nach dem Kriege verschwand die Reihe 52 aber wieder aus dem Güterzugdienst; die Kriegsausführung war den Ansprüchen an Wirtschaftlichkeit und betrieblicher Zuverlässigkeit nicht gewachsen.
Entwicklung des Schnellverkehrs
Auf dem Gebiet des Schnellverkehrs setzte in den Jahren 1931 bis 1939 ein lebhafter Wettbewerb zwischen motor- und dampfgetriebenen Fahrzeugen ein. Man wünschte rasche Verbindungen zwischen den Großstädten, die nur mit Fahrzeugen zu schaffen waren, die längere Strecken mit hoher Geschwindigkeit ohne Halt durchfahren konnten. Oberhalb der Geschwindigkeit von 100 km/h steigt der Luftwiderstand eines bewegten Fahrzeugs sehr rasch auf hohe Werte an. Das Verringern dieses leistungsmindernden Fahrwiderstands mußte daher im Vordergrund aller Schnellfahrbemühungen stehen.
Nach dem Erfolg des 1931/32 gebauten ”Fliegenden Hamburgers”, eines Schnelltriebwagens für 160 km/h Höchstgeschwindigkeit, entschloß man sich, auch Dampflokomotiven für Geschwindigkeiten bis zu 175 km/h zu bauen. Versuchsfahrten mit einer Einheitslokomotive Reihe 03 zeigten, wie der Luftwiderstand schon bei 140 km/h eine derart erhebliche Rolle spielte, daß die Lokomotive von 100 im Zylinder erzeugten PS für die eigene Fortbewegung schon 58 PS verbrauchte. Für die Zugförderung blieben dann nur noch 42 PS übrig. Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Lokomotive auch einen wesentlichen Teil des Luftwiderstandes des Wagenzuges überwindet. Damit bei Schnellfahrten noch ausreichende Zuggewichte befördert werden konnten, mußte man entweder die Leistung der Lokomotive ins Übermäßige steigern oder ihren Eigenverbrauch senken. Da der Luftwiderstand nicht nur von der Geschwindigkeit, sondern auch von der Form und der Oberflächenbeschaffenheit der Fahrzeuge abhängt, ergab sich als einfache Wirkungsgradverbesserung die stromlinienförmige Verkleidung. Nachdem durch Windkanalversuche die beste Form der Verkleidung gefunden war, und man durch einen Vorversuch an einer nur am Triebwerk umkleideten 03-Lokomotive festgestellt hatte, daß die Lager auch unter der Blechschürze einwandfrei liefen, wurde als erste Stromlinienlokomotive die im Bild 25 dargestellte 05-Lokomotive in zwei Ausführungen von den Borsig-Lokomotivwerken gebaut. Vergleichsfahrten zwischen der unverkleideten und einer nach Art der 05-Lokomotiven umkleideten 2-zylindrigen 03-Lokomotive ergaben bei 140 km/h einen Gewinn an Zughakenleistung von 48 %, d.h., die Leistung wurde am Zughaken allein durch Verringerung des Eigenwiderstandes der Lokomotive um fast die Hälfte gesteigert. Dieses außerordentlich günstige Ergebnis führte dazu, für alle neu zu bauenden Schnellzuglokomotiven grundsätzlich die Stromlinienverkleidung vorzusehen. Allerdings wurde wegen der leichten Zugänglichkeit des Triebwerks die Blechschürze dort nicht bis dicht über die Schienenoberkante herabgezogen, sondern nur bis etwas über Achsmitte geführt. Die hiernach entstehende Form der Umkleidung ist in Bild 26 dargestellt.
Bild 25 2' C 2' h3-Schnellzuglokomotive Reihe 05
Bild 26 2' D 2' h3-Schnellzuglokomotive Reihe 06
Für den schweren Schnellzugverkehr im Hügelland wurde eine Stromlinienlokomotive mit vier Kuppelachsen gebaut, eine 2’ D 2’ Baureihe 06 (Bild 26). Ausgerüstet mit dem gleichen Kessel wie die auf Seite 63 erwähnte Güterzuglokomotive Reihe 45 stellte sie die stärkste Schnellzuglokomotive der Bundesbahn dar.
Aus der Versuchsreihe der Lokomotiven für sehr hohe Fahrgeschwindigkeiten ist noch die Henschel-Tenderlokomotive Reihe 61 m der Achsanordnung 2’ C 2’ h2 mit 2300 mm Treibraddurchmesser zu erwähnen. Sie war zusammen mit einem Zug von 4 Leichtbau-D-Zugwagen entwickelt worden. Diese Einheit sollte gewissermaßen einen Schnelltriebwagen mit größerem Platzangebot und Dampfantrieb bilden. Die durch Kriegseinwirkungen verursachten Schäden am Oberbau erlauben es vorerst noch nicht wieder, die Schnellzüge mit den vor dem Kriege üblichen hohen Geschwindigkeiten verkehren zu lassen. Deshalb wurde die stromlinienförmige Verkleidung der Schnellzugmaschinen zunächst wieder abgebaut. Die schwierige Zugänglichkeit der Lokomotive und die Unterhaltungskosten der Verkleidung sind nur bei hohen Fahrgeschwindigkeiten und entsprechendem Zugkraftgewinn zu vertreten.