8. Die Lokomotivsteuerung
8.3. Äußere Steuerung
Leistungsregelung
Nachdem wir die Bauart der inneren Steuerung in ihren Einzelheiten kennengelernt haben, müssen wir uns den Antrieb des Schiebers genauer betrachten. Die Lokomotivsteuerung muß so eingerichtet sein, daß man mit ihr die Leistung und die Drehrichtung der angetriebenen Achsen verändern kann.
Je nach der angehängten Zuglast wird die Lokomotive mit der vollen oder nur einem Teil der vollen Leistung beansprucht. Die Leistungsänderung durch Drosseln des Dampfes mit dem Regler ist zwar möglich, im Verbrauch jedoch unwirtschaftlich. Die Leistungsänderung und Bewegungsumkehr muß deshalb in die äußere Steuerung eingebaut werden.
Bild 89 Einbau einer Schwinge
Gehen wir zunächst wieder von unserer vereinfachten Darstellung aus. In Bild 89 (Kolben im hinteren Totpunkt) hat der Schieber den Einströmkanal gerade um das lineare Voreilen v geöffnet. Wir bauen jetzt in die Schieberschubstange eine veränderliche Übersetzung ein. Zwischen Treibrad und Schieber wird eine bewegliche Schwinge angeordnet, die um den Festpunkt F1 pendelt und so gebogen ist, daß die Entfernung vom Festpunkt zur Verbindungsstelle mit der festen Schieberstange (A-B) den Kreisbogenhalbmesser bildet. Der linke Endpunkt der Schieberschubstange (A) kann entlang der Schwinge verschoben werden. Liegt er im Festpunkt F1, dann wird der Schieber von der Treibkurbel aus überhaupt nicht bewegt, je weiter der Punkt A nach unten rückt, desto größer wird der Schieberausschlag (Bild 89). Mit dem Schieberausschlag verändert sich die Füllungsperiode und dementsprechend die Leistung der Dampfmaschine. Die Leistungsregelung ist also mit dieser Hebelübersetzung schon gefunden.
Umsteuerung
Verlängert man den Kreisbogen der Schwinge über den festen Drehpunkt F1 hinaus nach oben und verschiebt den linken Endpunkt der Schieberschubstange in die obere Hälfte der Schwinge, dann wird die Schieberbewegung genau gegenläufig (Bild 90). Bei gleicher Kolbenstellung strömt der Dampf in den vorderen Zylinderraum, solange sich der Schwingenstein in der unteren Hälfte der Schwinge befindet. Die Lokomotive fährt dann vorwärts. Der Dampf strömt bei derselben Kolbenstellung in den hinteren Zylinderraum, wenn der Schwingenstein in der oberen Hälfte der Schwinge liegt. Die Lokomotive fährt dann rückwärts.
Bild 90 Verlängerung der Schwinge zur Bewegungsumkehr
Die zwischen Treibkurbel und Schieber eingebaute Schwinge besorgt also gleichzeitig die Leistungsregelung und Bewegungsumkehr. Da sie kreisförmig um den Schieberkreuzkopf gebogen ist, bleibt die Voreinströmung (Kolben im hinteren Totpunkt, Bild 90) für alle Füllungen gleich.
Voreilhebel
Zur Vereinfachung haben wir bisher bei allen Darstellungen der Schieberbewegung angenommen, daß der Treibachsmittelpunkt in der Verlängerung der Schiebermittellinie liegt.
Das wäre in Wirklichkeit aber nur zu erreichen, wenn der Schieber schräg zum Zylinder angeordnet würde. Bei paralleler Lage von Schieber und Zylinder liegt die Schieberachse höher als die Zylinderachse. Das lineare Voreilen kann dann nicht mehr durch den Voreilwinkel erreicht werden. Statt dessen baut man den Voreilhebel ein, der seine Bewegung über die Lenkerstange vom Kreuzkopf erhält. Stehen Dampfkolben und Kreuzkopf in der Mitte des Kolbenweges, dann steht der Voreilhebel senkrecht. Aus dieser Mittellage wird er vom Kreuzkopf so weit ausgerenkt, daß der Schieber nach vorn und hinten gerade um das Maß der Einströmüberdeckung e und des linearen Voreilens v bewegt wird (Bild 91).
Bild 91 Einbau des Voreilhebels
Diesen Vorgang kann man am besten erkennen, wenn man sich die Schieberschubstange im Drehpunkt der Schwinge liegend vorstellt. Dann übt die Treibkurbel überhaupt keine Bewegung auf den Schieber aus. (Steuerung auf Mitte), der Schieber wird lediglich vom Voreilhebel bewegt, dessen fester Drehpunkt am oberen Ende liegt. Hierbei erhält der Zylinder seine kleinste Füllung, der Zylinderkanal wird nur um das Maß des linearen Voreilens geöffnet. Die nur kurze Zeit einströmende geringe Dampfmenge ist nicht imstande, eine Dampflokomotive mit angehängter Last zu bewegen.
Eine Lokomotive ohne Last, bei der die Bremse vollständig gelöst ist, kann jedoch unter ungünstigen Umständen auch von dieser geringen Dampfmenge in Bewegung gesetzt werden. Um Betriebsgefahren zu verhüten, müssen daher bei jeder unter Dampf stehenden Lokomotive, die vom Personal verlassen wird, nach Einstellen der Steuerung auf Mittellage die Zylinderhähne geöffnet und die Handbremse angezogen werden.
Nachdem der Voreilhebel das lineare Voreilen übernommen hat, fällt der Voreilwinkel zwischen Treib- und Schieberkurbel fort. Die Treibkurbel müßte nun eigentlich der Schieberkurbel wieder genau um 90° vorauseilen. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall, sondern der Winkel zwischen Treib- und Schieberkurbel ist größer als 90° (Bild 91). Der über 90° hinausgehende Winkel hat mit dem Voreilen nichts zu tun, sondern ergibt sich aus der Anordnung der äußeren Steuerung. Es ist der Winkel zwischen der Treibachs-Zylindermittellinie und der Verbindungslinie vom Treibachsmittelpunkt zum Angriffspunkt der Schieberstange an der Schwinge (Bild 91). Je höher der Schieber und die Schwinge über der Treibachsmitte liegen, desto größer wird dieser Winkel.
Vorteile der Heusinger-Steuerung
Mit der beschriebenen Steuerungsbauart, der Heusinger-Steuerung, sind die meisten unserer Lokomotiven ausgerüstet. Für ihre Wahl war vor allem die bauliche Einfachheit gegenüber anderen Schwingensteuerungen maßgebend. Ferner bietet diese Steuerung durch die feste Lagerung der Schwinge den Vorteil, daß die einzelnen Steuerungsglieder besser und sicherer aufgehängt werden können. Das bedeutet einen Gewinn für die Genauigkeit der Dampfverteilung im Zylinder.
Die schematischen Darstellungen der Steuerung sind lediglich als Schaubilder und nicht als Maßzeichnungen anzusehen. Das Fehlerglied des Kurbeltriebes aus der endlichen Länge der Treibstange findet darin keine Berücksichtigung. Der Kurbeltrieb ist so dargestellt, als ob die Treibstange unendlich lang, ein Fehlerglied also nicht vorhanden wäre.